Reisebericht Ägypten vom 20. bis zum 29. November 2022
Kairo ist einfach riesig. Mit über 3.000 km2 ist die ägyptische Hauptstadt dreimal größer als Berlin. Über 20 Millionen Menschen leben in der Metropole am Nil. Zum Vergleich: in der deutschen Hauptstadt sind es knapp 4 Millionen Einwohner*innen. Man sagt, Kairo ist eine Stadt, die niemals schläft und das merken wir direkt in der ersten Nacht. Laute Musik und beständiges Autohupen begleiten uns in den Schlaf und durch die Nacht. Am nächsten Tag fragen wir Hisham, wann die Menschen in Kairo schlafen. Seine kurze Antwort ist: „Nie.“ Hisham ist der Geschäftsführer unsers Handelspartners Yadawee in Ägypten. Yadawee bedeutet auf Arabisch „Handmade“ und das ist es, was die fair produzierten Produkte auszeichnet. Von Yadawee bekommen wir unter anderem Textilien aus dem Projekt „Nilfurat“ und das besuchen wir heute. Die Frauen, die bei diesem Programm arbeiten, sind Geflüchtete. Sie kommen aus dem Sudan, Äthiopien oder Syrien, um in Ägypten ein sichereres und besseres Leben führen zu können. Hier findet jede Frau ihren Platz. Wie zum Beispiel Amal. Die 50-Jährige arbeitet bereits seit sieben Jahren bei Nilfurat. In all der Zeit hat sie ihre Fähigkeiten immer weiter verbessert. Ihre Hand zittert kein bisschen, als alle dabei zusehen, wie sie mit großen, handgeschnitzten Blöcken Muster auf einen Viskoseschal druckt. Als wir fragen, ob es sie nervös macht, wenn alle ihr zuschauen, lacht Amal nur. „Nein“, sagt sie „das ist völlig okay.“ Sie fühlt sich hier wohl. Kairo ist für sie und ihre Familie schon längst zu ihrem neuen Zuhause geworden, erzählt sie uns. Und das nicht zuletzt wegen der Arbeit bei Nilfurat.

Tausche Lärm gegen Vogelgesang
Einige Tage später verlassen wir die Stadt, die voller Leben und Lärm, Kuriosem und Verkehr ist. Heute fahren wir zu einer wahren Oase am Rande von Kairo. Schon auf dem Weg zu unserem Handelspartner Sekem wird klar, hier ist alles anders als in der Millionenmetropole. Anstelle von Straßenhunden erwarten uns hier Goldschakale. Anstelle von Verkehrslärm hören wir Vogelrufe. Anstelle von smogverpesteten Straßen ist die Luft klar und die Pflanzen sind grün. Wir sehen uns ein wenig das Gelände von Sekem an. Durch die Felder waten weiße Vögel, die vom Aussehen her an eine Mischung aus Störchen und Gänsen erinnern. Uns wird erklärt, dass die Vögel einen besonderen Namen haben. Aus dem Arabischen übersetzt heißen sie „Helfer des Farmers“.
Sekem hat sich hier eine eigene Welt geschaffen. Wortwörtlich. In ihrem „EcoVillage“ scheinen sie nahezu autark zu sein. Zu Sekem gehören nicht nur verschiedene Produktionsstätten für Textilien und Lebensmittel, Sekem betreibt auch eine eigene Schule, sogar eine Universität, ein Theater und ein Gästehaus.
Als wir in der eigenen Cafeteria essen gehen, fallen wir fast vom Stuhl. Nicht nur wegen des hervorragenden Menüs, sondern weil wir erfahren, dass das Essen 100 % Bio ist und der Großteil von der Sekem Farm kommt. Aber nicht nur Obst und Früchte stammen aus dem eigenen Anbau, es gibt sogar Kühe und Hühner – und eigenes Wasser, das in Glasflaschen abgefüllt vor uns steht. Das ist längst nicht alles. Sekem setzt auf erneuerbare Energien wie Solar und Windenergie. Die anthroposophische Organisation hat einen holistischen Ansatz, bei dem sowohl soziale, ökologische als auch kulturelle Aspekte eine wichtige Rolle spielen.

Schöne Stoffe nach höchstem Standard
Wir sind nun hier um Naturetex zu besuchen, ein Unternehmen, das zu Sekem gehört. Von Naturetex erhalten wir unter anderem niedliche Babykleidung und Kuscheltiere. Die Textilien sind ausnahmslos aus Fair Trade Bio-Baumwolle produziert. Natürlich aus eigenem Anbau, direkt aus Ägypten. Übrigens, die einzige Baumwolle aus ökologischem Anbau im ganzen Land. Den Tag starten die über 200 Mitarbeiter*innen in einem großen Kreis. Alle kommen hier zusammen, die einzelnen Abteilungen sagen in jeweils einem Satz, was am vorherigen Tag bearbeitet wurde und welche Aufgabe heute ansteht. Dann gehen alle Mitarbeiter*innen an ihre Arbeit.
Viele der Verarbeitungsschritte befinden sich direkt hier bei Naturetex. In verschiedenen Räumen auf dem Gelände findet zum Beispiel das Spinnen, Zuschneiden und Nähen statt. Bevor das fertige Produkt im Laden liegt, durchläuft es zahlreiche Verarbeitungsschritte. Ein Babybody braucht zum Beispiel etwa 20 Minuten, bis er versandfertig bei Naturetex im Lager liegt. Besonderen Wert legt das Sozialunternehmen auf die Qualität, die nach jedem einzelnen Verarbeitungsschritt genauestens überprüft wird. Zum Schluss passiert jedes einzelne Stück einen Metalldetektor, um sicherzustellen, dass keine abgebrochene Nähnadel oder ähnliches im Stoff geblieben ist.
Detailarbeit: Nichts ist Abfall

Besonderen Wert legt Naturetex auf die Nachhaltigkeit in allen Bereichen. So sind die Mitarbeiter*innen sehr kreativ mit der Weiterverwertung von Materialresten. Die Reste der Textilproduktion werden hier keineswegs als Abfälle gesehen, sondern als Rohstoffe, mit denen weitere Produkte gefertigt werden können – dafür bedarf es nur Kreativität und Experimentierfreude. Zunächst versucht Naturetex so gut wie möglich, Verschnitte zu vermeiden. Den Stoffresten, die dennoch anfallen, hauchen die Mitarbeiter*innen neues Leben ein. Ein Mitarbeiter zeigt uns, wie er lange Verschnitte in einem Handwebrahmen zu Teppichen webt. Und dann präsentiert uns der Geschäftsführer von Naturetex ihre neueste Idee: In einem besonderen Verfahren verwandeln sie Stoffreste wieder zurück zu einem fluffigen Baumwollmaterial – und ja, „verwandeln“ ist hier das richtige Wort, denn es ist erstaunlich zu sehen, dass die Verarbeitungsschritte wieder rückgängig gemacht werden können. Allein die Farbe der Stoffe bleibt erhalten. Aus diesem Material lassen sich wieder neue Produkte herstellen, zum Beispiel netzartige Tragetaschen. Und als neuestes Projekt zeigen sie uns den neuen Faden für die Isis-Teebeutel. Isis ist die Sekem-Firma, die die Lebensmittel herstellt. Die Teebeutel haben nun einen Faden aus reiner ägyptischer Bio-Baumwolle. Diesen Ehrgeiz, die Produkte und Produktionsprozesse bis ins kleinste Detail besonders nachhaltig zu gestalten spürt man hier bei jedem Schritt. Damit hat Sekem verinnerlicht, was als Zitat vom Gründer Ibrahim Abouleish auf den Flyern zu lesen ist: „I did not intend to be anything but the green that transforms from the invisible to the visible.“
Bio-faire Babykleidung
Mit viel Sorgfalt, Fachwissen und einem ganzheitlichen und nachhaltigem Engagement fertigen die Mitarbeiter*innen von Naturetex Baby-Spielzeug und -Kleidung. Das Beste für Mensch und Umwelt.
