6.782 Seemeilen hat Peggy Engelmann mit dem Segelfrachtschiff Avontuur zurückgelegt. Dabei hat sie unter anderem den Kaffee von El Puente über den Atlantik begleitet. Eine Reise, die sowieso schon ein großes Abenteuer ist, wurde durch Corona zu einer enormen Herausforderung. Im Gespräch erzählt die 33-Jährige von ihren Erfahrungen.


Peggy, nun ist es schon vier Wochen her, seit die Avontuur am Hamburger Hafen angelegt hat. Wie geht es Dir, wieder zurück an Land?
Ich habe immer wieder Flashbacks auf die Avontuur. Ich vermisse es. Auf der anderen Seite bereichert es mich im Alltag. Viele Menschen fragen nach meinen Erfahrungen und die Gespräche werden jedes Mal detaillierter, weil ich mir Stück für Stück bewusst werde, was die Reise eigentlich bedeutet hat. Es war eine Reise mit so vielen Erlebnissen in einem so kurzen Zeitraum: Die Rettung der Geflüchteten, Corona, neue Menschen und die Naturerfahrungen.

Bevor Du uns von all diesen Erlebnissen erzählst zunächst einen Schritt zurück: Wie bist Du dazu gekommen, mit der Avontuur mitzusegeln?
Eine Freundin von mir betreibt den Bio-Laden „Himmel & Erde“ in Halle. Da bin ich einmal die Woche gewesen, um meinen Lieblingskaffee zu trinken. Eines Tages fragte meine Freundin, ob ich mit nach Hamburg kommen wolle, da würde mein Lieblingskaffee entladen, der Segelkaffee. Ich war begeistert. Ich habe meinen Fuß auf die Avontuur gesetzt und gedacht: „Hier segelst Du mit!“ Ich wollte dieses tolle Projekt mit meinen Fähigkeiten unterstützen. Was ich kann, sind Geschichten erzählen und Podcasts erstellen und damit war der Beschluss klar für mich.
Wie war es dann auf der Avontuur?
Auf der Reise haben wir das ganz traditionelle Segeln gelernt, das war sehr eindrucksvoll. Es ist dabei wichtig, die Elemente wahrzunehmen. Wir haben gelernt, die Wolken zu lesen, was sich an den Wellen ablesen lässt, wie man Windstärken einschätzt. Wir haben gelernt, die Natur wieder bewusst wahrzunehmen. An Land haben wir diesen Bezug verloren. Wir fühlen das Wetter nicht mehr, nur den Moment. Thema Klimawandel: Beim Segeln wurde deutlich, was Wetterumschwünge für eine Auswirkung haben, die wir so erstmal nicht fassen können. Normalerweise wäre die Route schneller vonstatten gegangen, aber Strömungen und Winde verändern sich gerade. So mussten wir neu reagieren und uns neu ausrichten.

Schon kurz nachdem ihr aufgebrochen wart, gab es ein besonderes Vorkommnis: Ihr habt ein kleines Boot mit Geflüchteten auf dem Meer entdeckt.
Bei meiner Wache in der Früh haben wir diese kleine Nussschale entdeckt. Es war ein kleines Holzboot, 16 Menschen saßen dicht gedrängt, sie waren durchtränkt von Wasser. Zehn Tage waren die Geflüchteten schon unterwegs, hatten seit zwei Tagen kein Essen und Trinken mehr. Es waren stürmische Winde und Regen. Sie waren – im Gegensatz zu uns – den Wetterbedingungen ohne Koje ausgesetzt. Da ist mir – und auch vielen anderen von uns – durch den Kopf gegangen, wie gut wir es an Bord der Avontuur haben. Wir haben sofort einen Notruf abgesetzt, eine Quarantäne an Bord eingerichtet, Duschkabinen improvisiert, etwas von unserer Kleidung und dem Essen an die Menschen abgegeben. Dann sind wir zurück nach Gran Canaria, auf der Hälfte des Weges kam uns die Seenotrettung schon entgegen.

Ihr seid im Januar losgefahren, da war Corona noch kein Thema. Wann habt ihr von Corona erfahren?
Das war der 16. März. Trotz all der Verwirrungen, die es dann in den kommenden Tagen und Wochen gab, wurde uns immer kommuniziert: Ihr seid hier sicher an Bord, und wenn ihr bleiben wollt, seid ihr herzlich willkommen. Es war sehr schwierig für alle, weil es keinen richtigen Austausch mit der Außenwelt gab. Über Wochen hatten wir kein richtiges Internet und konnten so nicht mit unseren Familien und Freunden kommunizieren.

Wie ging es dann weiter?
Wir wussten nicht, was Corona bedeutet. Ich dachte, es ist vielleicht viel besser auf dem Schiff zu sein, als an Land. Wer weiß was da passiert, wie schwer der Verlauf der Krankheit ist. Wir wären eigentlich in Marie-Galante gelandet, dort durften wir nicht vor Anker gehen. Es gab dann den Ausweichhafen in Guadeloupe, dort durften wir nur frische Lebensmittel an Bord nehmen. Nach drei Stunden Verladeprozess unter Quarantänebedingungen sind wir förmlich rausgeschmissen worden aus dem Hafen. Dann sind wir wochenlang weitergesegelt. Insgesamt 108 Tage ohne Landgang. Wir hatten keine Verschnaufpause, nur kurz Zeit mit der Familie zu telefonieren. Erst wieder auf den Azoren durften wir an Land gehen.

Wie war die Stimmung an Bord in dieser Ausnahmesituation?
Wir haben von Anfang an der Reise ein gutes Gefühl miteinander gehabt. Das hat sich dann auch bezahlt gemacht, dass wir einander so zugetan waren. Damit hatten wir eine gute Ausgangslage uns gegenseitig zu unterstützen, auch emotional. Wir haben so gute Freundschaften geschlossen und in einem familiären Miteinander gelebt. Natürlich waren Einige traurig, natürlich waren Einige manchmal frustriert. Wir haben uns gegenseitig gestützt. Dann gibt man sich kleine Aufmerksamkeiten. Man weiß, der eine braucht eine Umarmung, der andere lässt sich mit einem Stück Schokolade aufmuntern. Die Dinge, die man sonst selbstverständlich kaufen kann, wurden zu wertvollen Schätzen für uns.

So ein Erlebnis hat sicherlich das Zeug, das ganze Leben zu verändern. Wie haben Dich diese Monate geprägt?
Ich darf zuhören, ich darf ruhiger in dieser schnelllebigen Zeit sein. Das ist unheimlich wichtig: Beobachten zu können und dann im richtigen Moment reagieren zu können. Durch die Reise habe ich gelernt erst einmal abzuwarten. Das ist wie mit den Winden: Ich schaue mir alles an und bringe mich dann im entscheidenden Moment ein, mit meinen Fähigkeiten. Die Ruhe und ein Stück mehr Weitsicht konnte ich für mich entwickeln. Die Probleme der Welt können einen überwältigen. Ich sehe mich als Puzzleteil von einem Gesamtbild. Wir kreieren dieses Bild, wir können nicht alles überblicken, aber wir sind ein Bestandteil. Und wir können das Bild nur gemeinsam gestalten, wenn wir ineinander haken, wenn wir eine Gemeinschaft sind.

Unser Kaffee Ahoi ist eine besondere Spezialität. 100% Fair Trade Arabica-Kaffee aus Nicaragua – und wir bilden uns ein, dass auch ein Hauch von frischer Seeluft durch die Kaffeetasse weht. Denn der Kaffee Ahoi! ist nahezu klimaneutral von Lateinamerika nach Deutschland gesegelt. Ermöglicht hat dies das Segelfrachtschiff Avontuur. Und hier geht es zu der feinen Kaffeespezialität!

Was hat Dich besonders auf der Reise beeindruckt?
Auf der Rückreise im Golf von Mexiko haben wir hunderte von Ölbohrtürme gesehen. Ich weiß es gibt Tausende. Da wurde es einem ganz anders, als wir nachts stundenlang durch diese Lichterstädte gesegelt sind. Wir wussten: das ist gerade aktive Umweltverschmutzung. Da wird man ganz klein und ganz still und man kann gar nicht fassen, was wir Schweres auf dieser Welt hinterlassen. Es ist kurz vor Zwölf. Aber ich glaube, wir haben noch eine Chance. Wir wissen es doch nun. Meckerkultur bringt nichts. Wir dürfen mündig sein, wir dürfen Verantwortung übernehmen. Ich kann etwas verändern. Jeder muss einkaufen gehen und jeder kann mit seinem Einkauf viel verändern. Man kann sich informieren, im Internet oder plötzlich steh ich im Weltladen und kann jemanden fragen, da öffnen sich ganz neue Türen. Aber es wird Zeit. Ich möchte meine Nichten in einer gesunden, nicht in einer sterbenden Welt aufwachsen sehen.

Wie war der Moment der Ankunft am Hamburger Hafen für Dich?
Puh! Das „Puh“ drückt eigentlich aus, was kommt jetzt auf uns zu? Freude, Erleichterung, aber auch Wehmut im Herzen. Aber auch die Frage, wie funktioniert das mit den Masken? Was erwartet uns? Darf ich die Menschen umarmen? Und dann war es toll für uns die Fracht anzufassen, das durften wir wegen Corona nicht. Wir waren stolz, dass wir das von Anfang bis Ende gemeinsam geschafft haben. Mir ging das sehr nah.
Wie geht es jetzt für Dich weiter?
Ich bin derzeit arbeitssuchend. Mein Plan ist jetzt ein Kinderbuch zu verfassen. Als gelernte Erzieherin ist mir das ein Anliegen. Die Geschichte ist schon in meinem Kopf. Jemand, der mit auf der Reise war, zeichnet die Bilder dazu, nun muss ich noch den Rahmen fassen und freue mich über Unterstützung. Künftig möchte ich wieder für eine Umweltorganisation, Projekte, die zur Aufklärung beitragen, arbeiten.
Vielen Dank für das interessante Gespräch, Peggy!

Peggy Engelmann pflegt einen eigenen Blog und macht Podcasts. Zu Lesen und zu hören unter peggymerkur.blog. Außerdem geht sie in Kitas, um dort schon den Kleinsten vom „Abenteuer Schokolade“ zu erzählen.