Nachdem es die globale COVID-19-Pandemie in den letzten zwei Jahren fast unmöglich gemacht hatte, Handelspartner zu besuchen, stand zum Beginn des Jahres nach langer Zeit wieder eine Einkaufsreise nach Thailand an. Die Reise führt mich unter anderem zu WEAVE, einer unserer Partnerorganisationen, die mit ethnischen Minderheiten und Flüchtlingen arbeitet. WEAVE hat seinen Arbeitsschwerpunkt im Nordwesten Thailands an der Grenze zu Myanmar – in dieser Gegend leben verschiedene ethnische Minderheiten,
die durch den Konflikt in Myanmar gezwungen sind, sich den unsicheren Lebensverhältnissen in der konfliktgebeutelten Grenzregion anzupassen. So führt mich meine Reise nach Mae Hong Son, abgelegen in den bergigen Grenzgebieten Thailands. Vor meiner Reise wurde ich bereits vorgewarnt – die Fahrt brauche mindestens sechs Stunden und sei sehr kurvenreich. Am Tag meiner Anreise darf ich feststellen, dass die Warnung
einen guten Grund hatte: vor uns liegen 1.800 Kurven, die sich wie Serpentinen durch die Landschaft schlängeln.
Auf verschlungenenen Wegen
Los geht unsere Fahrt in Chiang Mai, wo ich gemeinsam mit Yam, dem Logistikverantwortlichen von WEAVE, in den Van steige. Kurz nachdem wir die Stadt verlassen haben, gehen die Kurven los. Zu Anfang erfreue ich mich an der bergigen Landschaft, doch auf Dauer werden die Kurven anstrengend und ich bin ziemlich erleichtert, als wir unseren Stopp zum Mittagessen erreicht haben. Danach geht es weiter, die Straße wendet sich mittlerweile in alle Richtungen. So muss ich mich den zweiten Teil der Fahrt sehr konzentrieren, fit zu bleiben und bin sehr froh, als wir am frühen Abend wohlbehalten in der Kleinstadt Mae Hong Son ankommen und ich mich ausruhen kann. Die Fahrt allein ist eine Reise für sich! Am nächsten Tag treffe ich die Mitarbeiter*innen von WEAVE, wir wollen heute gemeinsam eine Produzentinnen-Gruppe besuchen, deren Dorf wenige Meter von der Grenze entfernt liegt. Bevor wir uns auf den Weg machen, halten wir kurz beim örtlichen Supermarkt, wichtigster Kauf: Übelkeitstabletten! Denn auch diese Fahrt wird sehr kurvenreich und ich bin nicht die Einzige, die damit zu kämpfen hat. Dennoch läuft die Fahrt gut, sodass wir alsbald in der von Hügeln umsäumten Ortschaft Mae Sa Pae Nuea ankommen, wo wir bereits von der Frauengruppe erwartet werden.
Mehr als nur Handwerkskunst
Die Frauen gehören mehrheitlich der Minderheit der Karen an, einer Gruppe, die über die Grenzen von Thailand und Myanmar hinweg angesiedelt ist. Die Stimmung ist gut, die Frauen sind eifrig am Weben und erledigen ergänzende Schritte, die ich heute vorgeführt bekomme. Im Anschluss erfahre ich mehr über die Frauen. Es freut mich sehr zu hören, dass in der Kultur der Karenni das Kunsthandwerk nicht nur als Vermarktungsansatz wahrgenommen wird, sondern, dass die Tradition auch bei der eigenen Kleidung und an besonderen Tagen Anwendung findet. Für meinen Besuch haben sich die Frauen extra hübsch angezogen und zeigen mir stolz ihre Kleidungsstücke, die sie selbst hergestellt oder verziert haben. Zwei Mitarbeiterinnen von WEAVE, Mong und Sue Meh, erklären mir, dass die Aufrechterhaltung der Kultur für die ethnischen Minderheiten der Region sehr wichtig ist, um ihre Identität zu bewahren. Bereits für Kinder gibt es Lehrmaterialien, in denen bildlich an die Kultur herangeführt wird. Die Zeichnungen sind von Flüchtenden entwickelt worden, ebenso wie die Geschichten, was zum Ausdruck bringt, wie sehr sich die Erfahrung, aus der Heimat vertrieben zu werden, in die Erinnerung eingebrannt hat.


Ein Portrait
Mithi lebt seit 2010 im Flüchtlingscamp in Thailand. In ihrem Heimatdorf in Myanmar verhielt sich das Militär verhältnismäßig friedvoll, allerdings wurden
Zwangsarbeit und Bestechungsgelder eingefordert. Mithi war damals noch sehr jung, ihre Eltern bereits verstorben und sie wünschte sich ein besseres Leben und gute Bildung. Als Mithi nach Thailand in das Camp kam, konnte sie die Schule besuchen und auch die High School abschließen. Danach wurde die 29-Jährige Lehrerin in der Middle School und unterrichtete jüngere Kinder sechs Jahre lang, bis sie ihre erste Tochter bekam. Heute lebt sie getrennt von ihrem Mann, der sie nicht gut behandelt hat, und kümmert sich alleine um ihre vier- und achtjährigen Töchter. Sie konnte anfangen, bei WEAVE in der Qualitätskontrolle zu arbeiten und ist für die Stickereien zuständig, welches viel handwerkliches Geschick erfordert. „Gerne würde ich mit meinen Töchtern in ein anderes Land gehen. Meine ehemaligen Schwiegereltern leben in den USA. Doch das zu schaffen ist sehr schwer. Daher ist es für mich gerade am allerwichtigsten, einen Job zu haben, von dem ich gut leben kann. Das ist insbesondere seit der Pandemie noch schwieriger, weil es so viele Auflagen und Beschränkungen gibt.”
Myanmar: Ein zerrissenes Land
Die Situation in Myanmar ist durch die Eigenschaft eines Vielvölkerstaats gekennzeichnet, was bereits seit Langem zu internen Konflikten führt. Im Militärputsch 2021 erreichten die Konflikte jedoch ein neues Hoch. Seitdem gibt es eine neue Welle an Flüchtenden, doch dies ist nur die Spitze des Eisbergs. Die bekanntesten ethnischen Minderheiten sind die Rohinya und die Karen, doch Myanmar hat viele ethnische Minderheiten, die sich durch kleine oder größere Details, wie Sprachen und kulturelle Gepflogenheiten unterscheiden. In Mae Hong Son sind es vor allem die ethnischen Minderheiten des angrenzenden „Kayah-Staates“, die nach Thailand kommen (dt. Karen und Karenni). Der Kayah-Staat hat auch geschichtlich eine Bedeutung, denn diese Region ist sehr reich an Bodenschätzen. Nach der Kolonialzeit hatten die Briten den Menschen dort Autonomie zugesagt, dieses wurde aber in der Unabhängigkeit Myanmars wieder rückgewirkt und gilt als Ursprung der örtlichen Konflikte mit Auswirkungen für die dort lebenden Minderheiten.
Neue Perspektiven
Um dem entgegenzuwirken gibt es die Organisationen WEAVE, die neben politischer Arbeit zur Lösung des Konflikts auch Projekte durchführt, um Heimatvertriebenen aktiv eine bessere Lebensgrundlage zu ermöglichen und Chancen zu schaffen. Der Faire Handel ist für WEAVE ein Ansatz, die Bedürfnisse der Menschen mit ihren Möglichkeiten zu vereinen und durch die Vermarktung von traditionellem Kunsthandwerk Chancen für Betroffene zu schaffen. Zu diesem Zwecke produziert WEAVE Textilien, die weltweit vermarktet werden. WEAVE ist auch Projektpartner von MADE51, einer Vermarktungsinitiative, die durch die UN-Organisation für Flüchtlinge (UNHCR) ins Leben gerufen wurde. Die Zusammenarbeit zwischen WEAVE und El Puente besteht bereits seit Dekaden, hatte zwischenzeitlich geruht, wurde aber vor einigen Jahren neu zum Leben erweckt. El Puente bietet Schals und Tücher an, die von den Produzentinnen in sorgfältiger Handarbeit und unter erschwerten Bedingungen hergestellt werden: Denn neben den Frauen-Gruppen in den Gemeinden arbeitet WEAVE auch mit Frauen zusammen, die aus ihrer Heimat in Myanmar vertrieben wurden und seitdem ohne klaren Aufenthaltsstatus in Flüchtlingscamps entlang der Grenze leben.

Ein Leben im Camp
Aufgrund der angespannten Sicherheitslage während meines Aufenthaltes und durch das Risiko von COVID im Flüchtlingscamp wurde mir keine Erlaubnis erteilt, die Camps zu besuchen. Doch wurde mir die Möglichkeit eingeräumt, an den Rand eines Camps zu fahren, um mit den Frauen ins Gespräch zu kommen und mir ein Bild der Situation zu machen. Einige der Frauen haben die Erlaubnis bekommen, in einen Außenposten zu kommen – am Nachmittag wurden sie wieder abgeholt. Dort angekommen treffe ich auf die Gruppe der Frauen. Sie sitzen alle entlang den Wänden eines großen Hauses und weben. Die Webstühle, mit denen sie arbeiten, bestehen aus Bambusstöckchen, sind handlich und die Arbeit kann quasi von überall erledigt werden.
Ich steige gleich in Gespräche ein und darf nach und nach die Geschichte der einzelnen Frauen erfahren: So ähnlich die Lebenswelt der Frauen nun in Thailand ist, so unterschiedlich ist doch ihre Geschichte. Sie kommen aus verschiedenen Gegenden Myanmars, haben aber alle Unterdrückung und Stigmatisierung durch das dortige Militär erlebt. Wurde eine Frau als Kind aus ihrem Dorf vertrieben, so ist eine andere freiwillig gegangen, weil sie die Gewalt nicht mehr ertragen konnte. Manche der Frauen sind als Kinder nach Thailand gekommen, andere wurden im Flüchtlingscamp geboren. Die älteren Frauen können weder lesen noch schreiben und sprechen kein Englisch, die jüngeren hingegen sind gebildet und sprechen schüchtern, aber in fließendem Englisch mit mir und man spürt die Sehnsucht nach einem anderen Leben. Doch ihre Wünsche für die Zukunft sind unterschiedlich – viele der Frauen träumen von einem besseren Leben, sie hoffen darauf, eines Tages durch eine Hilfsorganisation in ein anderes Land zu kommen und ein ganz normales Leben führen zu können. Andere wiederum können sich nicht mehr vorstellen, dass sich etwas ändert und haben sich mit ihrem Leben im Flüchtlingscamp abgefunden. Umso mehr freue ich mich, zu merken, dass für alle Frauen kleine Freuden des Alltags deshalb viel wichtiger sind. Dies gilt für das Weben der Textilien ebenso wie mein kurzes Treffen mit ihnen.

Für einen Alltag in Ungewissheit
Hier kommt die Arbeit des Fairen Handels zum Tragen: WEAVE ist eine Organisation, in der die Menschen vor Ort in engem Austausch stehen und sich sehr stark an den Wünschen und Bedürfnissen orientieren. Das umfasst Bildung und Gesundheit, aber eben auch zusätzliche Einnahmequellen und (so simpel es klingt) Beschäftigung im Alltag. Durch das Weben haben die Frauen eine Aufgabe, der sie nachgehen können, sie können Neues lernen und dies leicht mit anderen Aufgaben des Alltags, wie Kindern und Haushalt, kombinieren. Wie auch in Mae Sa Pae Nuea nutzen die Frauen im Camp die gewebten Textilien selbst. Das Leben der Tradition spielt auch im Kleinen eine wichtige Rolle, vor allem, wenn man seiner Heimat den Rücken zukehren musste. Die Frauen der ethnischen Minderheiten sind stolz auf ihre Wurzeln und wollen diese bewahren. Dies konnte ich während meines Besuchs stark spüren und hat mich in unserer Arbeit im Fairen Handel erneut bestätigt: Der Faire Handel ist eine Möglichkeit für die Frauen, ihre Geschichte durch die gewebten Produkte zu verarbeiten. Gleichzeitig bietet der Faire Handel die Möglichkeit, die Geschichte von Menschen weiterzutragen und Menschen an den Lebensgeschichten, die wir nicht kennen, teilhaben zu lassen.